Hätte ich diesen Blogbeitrag vor zwei Wochen geschrieben, wäre er anders ausgefallen. Die Ereignisse der letzten Tage haben unser Leben auf den Kopf gestellt. Auch wenn Fakten unveränderlich sind, müssen sie doch auch immer in einem Kontext gesehen werden. Gesellschaftlich, geschichtlich und auch persönlich.
Betrachten wir die Fakten: „Onlinesucht“ gibt es nicht. Vielleicht noch nicht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO und die American Psychiatric Association, die jeweils Manuale zur Erfassung psychischer Erkrankungen herausgeben, tragen dennoch beide dieser relativ neuen Form der Abhängigkeitserkrankung Rechnung. In den aktuellen Versionen der Manuale gibt es die sogenannte Gaming Disorder, die also nur dem übermäßigen Spielen von Videospielen, sowohl online als auch offline, suchtartigen Charakter zuschreibt. Exzessiver Konsum von Social Media oder Onlinepornographie sind in diesen Manualen nicht erwähnt.
Doch wie können Sie nun abschätzen, ob Ihr Sohn oder Ihre Tochter von dieser „Gaming Disorder“ betroffen sein könnte? Wichtige Fragen in diesem Zusammenhang sind:
Empfehlungen zufolge sollten Kinder erst ab dem Volksschulalter 30 Minuten am Tag mit Bildschirmen beschäftigt sein, ab zehn Jahren eine Stunde pro Tag. Unsere Erfahrung zeigt: Es ist weit weniger wichtig, wie lange ein Kind sich mit Bildschirmmedien beschäftigt, ausschlaggebend ist eher, welche Inhalte damit konsumiert werden und wie es Ihrem Kind danach geht. Ihr siebenjähriger Sohn ist mit einer halben Stunde Brawl-Stars-Spielen vielleicht völlig überfordert, ist danach gereizt, frech und übellaunig. Beim Abdrehen gibt es Streit. Nach zwei Folgen seiner Lieblingsserie, die insgesamt 50 Minuten dauern, ist er entspannt und dreht wie vereinbart, vielleicht nach Erinnerung, ab. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir uns über die Inhalte, die unsere Kinder konsumieren, mehr Gedanken machen sollten als nur über die Zeitspanne.
Der Konsum von Videospielen, Social Media, Serien und Ähnlichem bringt natürlich ein paar Herausforderungen mit sich und enthält für uns alle auch bekannte Risiken. Kinder und Jugendliche müssen lernen, welchen Inhalten Sie im Netz vertrauen und Quellen überprüfen können. Sie müssen verstehen, mit welchen Motiven Menschen Inhalte verbreiten. Sie müssen wissen, welche Inhalte sie selbst von sich veröffentlichen können und welche lieber nicht. Dabei sind wir, die Erwachsenen, gefragt. Wenn es um die Medienerziehung unserer Kinder geht, haben wir drei wichtige Aufgaben:
Eines machen Sie schon richtig: Sie beschäftigen sich mit dem Thema. Sie nehmen Entwicklungen Ihres Kindes wahr und informieren sich. Bleiben Sie mit Ihrem Kind im Gespräch, fragen Sie nach, was es am Bildschirm macht und zeigen Sie Interesse. Gerade in diesen Tagen möchte ich Sie daran erinnern, dass sich Diskussionen wie diese bei jeder technischen Errungenschaft wiederholt haben: Denken Sie an die prophezeite „Fernsehsucht“, die „Lesesucht“ oder auch die „Schachsucht“! Haben Sie kein schlechtes Gewissen, wenn Sie Ihr Kind dieser Tage länger fernsehen oder am Computer spielen lassen als sonst, um arbeiten zu können. Genießen Sie danach dafür auch bewusst Zeit gemeinsam bei einem kleinen Spaziergang, beim gemeinsamen Brettspiel, beim (vielleicht gegenseitigen?) Vorlesen oder bei einem gemeinsamen Familienessen! Ich wünsche Ihnen alles Gute und viele Genussmomente.
Orth, B. (2017). Die Drogenaffinität Jugendlicher in der Bundesrepublik Deutschland 2015.
Teilband Computerspiele und Internet. BZgA-Forschungsbericht. Köln: Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung.
World Health Organization. (2004). ICD-10: international statistical classification of diseases and related health problems : tenth revision, 2nd ed. World Health Organization.
Am 25.3. findet ein Online-Elternabend zum Thema statt.